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Wirtschaft und Menschenrechte: Vorstandsbefragung der DAX 100

Menschenrechtschutz als „license to operate“: Antworten einer Befragung der DAX-100-Unternehmen

Transnationale Unternehmen sind – da würde öffentlich kein Vorstand widersprechen – an die Einhaltung von Menschenrechten gebunden, was in der Praxis eine Reihe von Zielkonflikten zwischen humanen bzw. politischen und ökonomischen Anforderungen an das jeweilige Unternehmen zur Folge haben kann. In dieser Dilemma-Situation mag die zurückhaltende Kommunikation deutscher DAX-Unternehmen in dieser Frage begründet sein: Von 30 angefragten Vorständen war nur der Vorsitzende des Vorstandes der Fraport AG, Herr Professor Dr. Wilhelm Bender, zu einem Interview mit der zfmr bereit.

Ein ähnliches Bild zeigt die Reaktion der DAX-100-Unternehmen auf eine von der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik initiierte Befragung, die lediglich 10 Prozent der Unternehmen (Allianz, Commerzbank, Metro, MAN, RWE, MLP, Daimler, Tognum, BASF, Deutsche Bank, Telekom) beantworteten. Interessant neben der selbst für wirtschaftsethische Fragenkomplexe auffällig geringen Beteiligungsquote sind die Antwortmuster:

Die Unternehmen orientieren sich bei der Beantwortung der Fragen zu Menschenrechten an dem Bereich Corporate Social Responsibilty und den damit zusammenhängenden Aktivitäten, ohne spezifisch auf Menschenrechtsproblematiken einzugehen.

„Die Beachtung menschenrechtlicher Standards ist für uns integraler Bestandteil von Corporate Social Responsibility, (CSR), worunter wir die Umsetzung von Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene verstehen.“ (BASF).

Einzelaspekte wie Vereinigungsfreiheit, Sozialstandards, Nachhaltigkeit oder Diversität werden von den befragten Unternehmen als Engagement für Menschenrechte gewertet. Dabei stellt kein Unternehmen den universellen Anspruch der Menschenrechte als übergeordnetes Leitprinzip in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten, sondern vielmehr werden einzelne CSR-Maßnahmen in Hinblick auf die Menschenrechtsthematik umgedeutet, so dass sogar „Essenszuschüsse […] und die Förderung der Kinderbetreuung“ als konkrete Maßnahme zur Einhaltung der Menschenrechte angesehen werden.

Gemein ist allen Antworten, dass die Unternehmen keine reflektierte oder gar problemsensible Auseinandersetzung mit dem Thema eingehen und stattdessen auf Formulierungen anderer Felder zurückgreifen, wodurch der Effekt entsteht, dass nach Menschenrechten gefragt, aber auf Nachhaltigkeit und CSR geantwortet wird.

Dabei wird die direkte oder mittelbare Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen im eigenen Geschäftsprozess zu vermeiden, von keinem der befragten Unternehmen aufgegriffen. Die eingangs genannte dilemmatorische Situation wird von den Unternehmen nicht thematisiert, sondern im Gegenteil wird die Berücksichtigung der Menschenrechte als natürliche Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs gedeutet.

So sieht die Deutsche Bank ihre „wichtigste soziale Verantwortung […] [darin], international wettbewerbsfähig zu sein, Gewinne zu erwirtschaften und als Unternehmen zu wachsen…. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Einhaltung der Menschenrechte von selbst“. „Unternehmen können langfristig nur in stabilen Gesellschaften gute Geschäfte machen.“ (Telekom)

Dieses Argumentationsmuster einer menschenrechtegarantierenden Gesellschaft als positive Standortbedingung, dessen empirische Plausibilität im Einzelnen sicherlich zu hinterfragen wäre, findet sich in allen Unternehmensstatements. Der Gedanke eines universellen Rechtsanspruches der Menschenrechte, der sich auch außerhalb der ökonomischen Systemlogik begründet, findet sich in den Ausführungen der Unternehmen hingegen nicht.

Obwohl der zivilgesellschaftliche Druck auf die Unternehmen in den letzten Jahren spürbar zunimmt, erscheint diesen eine konkrete Unterstützung durch staatliche oder zivilgesellschaftliche Akteure überwiegend nicht notwendig, wenngleich NGOs in menschenrechtsensiblen Regionen als wichtige Informationslieferanten gesehen werden. Allein Daimler strebt zukünftig eine „Einbeziehung anderer Akteure zu dem Thema Menschenrechte“ konkret an.

Insgesamt unterstreichen nicht nur die geringe Beteiligung, sondern auch die teils sehr detaillierten vorliegenden Antworten den Befund von Rieth/Henrichs (Rieth/Henrichs, 2008: Deutsche Unternehmen im Global Compact, COP-Projekt II, TU Darmstadt) eines Nachholbedarfs seitens der Unternehmen bei der Berichterstattung über konkrete Maßnahmen, wie das Thema Menschenrechte in die Unternehmenspraxis integriert wird.

Es zeigt sich zudem aber auch, dass diejenigen Unternehmen, die bestimmte Kodizes unterschrieben haben, intern Maßnahmen, Reporting und Verantwortlichkeiten für deren Einhaltung organisieren und in ihrer Darstellung insgesamt deutlich fokussierter und konkreter sind. Die gerade in Hinblick auf den Global Compact oftmals geäußerte These von Soft Law als lernendes System erscheint vor dem Hintergrund der vorliegenden Antworten durchaus plausibel.

Deswegen sei trotz dieser relativen Sprachlosigkeit sowohl in Hinblick auf konkrete Maßnahmen als auch auf die Akzeptanz des universaliastischen Anspruchs vor einer überkritischen Bewertung der Ergebnisse gewarnt. Natürlich stehen für die antwortenden Unternehmen „positive Effekte auf Reputation, Rankings und gesellschaftliche Akzeptanz“ (Daimler), also letztlich utilitaristische Gründe der ökonomischen Systemlogik, bei der Beachtung von Menschenrechten im Mittelpunkt. Wenn ein Unternehmen innerhalb dieser Systemlogik die Beachtung menschenrechtlicher Standards als Grundlage der eigenen „license to operate“ (Daimler) ansieht (und ihm diese bei Verstößen durch die Zivilgesellschaft tatsächlich entziehbar ist), können sich Unternehmen diesem Diskurs langfristig nicht entziehen.