Ethik-Monitor 2006
Welche Werte haben die Deutschen?
Der Ethik-Monitor der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik ist eine sozialwissenschaftliche Werte-Studie, die in Zusammenarbeit mit der Universität Bamberg und mit der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen entwickelt wurde und regelmäßig mit verschiedenen Projektpartnern durchgeführt wird. Ausgehend von jeweils zirka eintausend repräsentativ ausgewählten, persönlichen Interviews macht der Ethikmonitor Aussagen über Werte und Einstellung der Bevölkerung und widmet sich den Haltungen der Menschen zu politischen und wirtschaftlichen Institutionen und deren Repräsentanten, zu Gerechtigkeitsfragen sowie zur Akzeptanz des politischen und wirtschaftlichen Systems im Allgemeinen. Der Ethik-Monitor 2006 befasste sich mit der Frage, welche Werte die Deutschen haben, welchen Stellenwert diese in ihrem persönlichen Leben haben und wie sie politische Institutionen und große Wirtschaftsunternehmen und vor allem ihre Vertreter in dieser Hinsicht einschätzen. Die Befragung wurde vom Institut TNS Emnid durchgeführt.
In der Erhebung im Zeitraum von Ende April bis Ende Mai 2006 wurden 1003 Personen befragt. Alle Ergebnisse und Pressemeldungen des Ethik-Monitors stehen Interessierten auf der rechten Seite zum Download bereit. Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse.
Wertekluft zwischen Politik und Bürgern
Nach der für sie wichtigsten Tugend befragt, nennen mehr als die Hälfte der Bürger den Wert Ehrlichkeit an erster Stelle. Bei der Einschätzung der Relevanz von Ehrlichkeit als Tugend für Politiker, stellen jedoch nur 29 Prozent der Befragten diesen Wert an die erste Stelle einer Werte-Skala. Laut Einschätzung der Befragten zählen für Politiker eher Werte wie Pflichtbewusstsein (52%) und Anstand (50%). Solidarische Werte wie Fairness (32%) und Mitgefühl (29%) schreibt man Politikern offenbar seltener zu.
Fehlendes Vertrauen in politische Institutionen und große Wirtschaftsunternehmen
Lediglich elf Prozent der Befragten äußern Vertrauen gegenüber den großen Wirtschaftsunternehmen. Der Bundesregierung und dem Bundestag wird mit rund 14 Prozent nur geringfügig mehr Vertrauen entgegengebracht.
Prof. Dr. Joachim Behnke von der LMU München, Leiter des Forscherteams, das die Studie auswertet, konstatiert eine „tiefe Vertrauenskrise der Bürger in die politischen Institutionen und Gruppen“. Rund 50 Prozent der Befragten schenken der Bundesregierung sowie dem Bundestag „kein bis überhaupt kein Vertrauen“. Das ist in etwa die gleiche Prozentzahl wie bei „Fremden, denen man das erste Mal begegnet“ und bei „großen Wirtschaftsunternehmen“.
Das Vertrauen in den Mittelstand ist deutlich höher als das in die großen Wirtschaftsunternehmen
Das Vertrauen in „die Wirtschaft“ hängt stark davon ab, wer als Repräsentant derselben angesehen wird: Während mittelständische Unternehmen das Vertrauen von immerhin 43 Prozent der Befragten genießen, schenken nur elf Prozent den großen Wirtschaftsunternehmen ihr Vertrauen.
Top-Manager verantwortlich für den Vertrauensverlust
Fragt man nach den Ursachen des Vertrauensverlustes in die großen Wirtschaftsunternehmen, findet sich im Misstrauen gegenüber den führenden Wirtschaftsakteuren eine Antwort: 79 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, dass die Wirtschaftsführer vor allem an ihre eigenen Interessen denken und 42 Prozent meinen, die meisten Wirtschaftsführer seien korrupt. Nur knapp 13 Prozent glauben, es ginge den Spitzen der Wirtschaft auch um das Gemeinwohl. 77 Prozent äußern die Überzeugung, dass es den Spitzen der Wirtschaft vor allem nur noch um die Steigerung des Aktienkurses auf Kosten der Mitarbeiter gehe.
Gerechtigkeit des Wirtschaftssystems wird in Frage gestellt
Lediglich 13 Prozent der Befragten halten das Wirtschaftssystem für gerecht. Während in den neuen Bundesländern 60% der Ansicht sind, das Wirtschaftssystem sei ungerecht, sind es in den alten Bundesländern 40%. Im Osten wie im Westen ist für die Bewertung der Gerechtigkeit das Vertrauen in die Wirtschaftsführer am wichtigsten. 79 Prozent der Ost- und 60 Prozent der Westdeutschen, die der Ansicht sind, dass Wirtschaftsführer keine vertrauenswürdigen und ehrlichen Menschen sind, halten das Wirtschaftssystem für ungerecht.
Ostdeutsche kritisieren innerbetriebliche Ungerechtigkeit – Westdeutsche fordern mehr Kompetenz
Ansonsten gibt es zwischen den neuen und den alten Bundesländern unterschiedliche Motive für die Beurteilung von Gerechtigkeit. Die Ostdeutschen begründen die Ungerechtigkeit vor allem damit, dass die Wirtschaftsführer auf Kosten der Mitarbeiter agieren und die Belange der Mitarbeiter keine große mehr Rolle spielen. Im Westen stehen dagegen die Korruption und die Fähigkeit der Wirtschaftsführer für die Beurteilung von Gerechtigkeit im Vordergrund. Die Ergebnisse des Ethikmonitors offenbaren somit unterschiedliche Gerechtigkeitsauffassungen in Ost- und Westdeutschland. „Interessant an diesen Ergebnissen ist die unterschiedliche Auffassung darüber, was als gerecht empfunden wird.“, so Tim Bendixen, Projektverantwortlicher der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik. „Die Ostdeutschen definieren Gerechtigkeit stärker aus einer konkreten wohlfahrtsstaatlichen und gemeinwohlorientierten Perspektive, während die Westdeutschen eher aus einem abstrakt-normativen und leistungsorientierten Blickwinkel argumentieren.“