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Studie „Lebensorientierung Jugendlicher“

Studie „Lebensorientierung Jugendlicher“

Ziel der Studie „Lebensorientierungen Jugendlicher“, für die im Jahr 2007 über 8.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren befragt wurden, war es, ein möglichst differenziertes Bild davon zu bekommen, welchen Stellenwert Alltagsethik, Moral und Religion bei dieser Gruppe heute einnehmen.

Es sollte dabei ausdrücklich nicht ein mehr oder weniger ausgeprägtes „Religionsmaß“ der Befragten ermittelt werden. Die Ergebnisse der Studie sollten vielmehr Grundlage für weiterführende Überlegungen im wissenschaftlichen und unterrichtspraktischen Diskurs sein.

Die Ergebnisse der Studie können in fünf Hauptaspekte gegliedert werden:

 

  1. Sinn im Leben entsteht für die Jugendlichen in starkem Maße dadurch, dass sie etwas eigenverantwortlich tun und gestalten – gleichzeitig wird Sinn jedoch auch transzendent, also in Bezug auf das einfache Dasein der wichtigen Mitmenschen, wie Familie oder Freunde, verstanden. Für die Unterrichtsgestaltung ist daher wichtig, die Frage nach dem Sinn des Lebens entsprechend einer transzendenten Daseinsidee als eine Komponente praktischer Lebensweisheit aufzunehmen.

  2. Die Generation der 15-25 jährigen sucht ihren Sinn nicht mehr überwiegend im Beruf, denn das Konzept der lebenslänglichen Tätigkeit in einem Beruf ist hinfällig. Dies muss, gerade in der Unterrichtsgestaltung von Berufsschulen, beachtet werden. Die Sinnsuche dieser Generation verläuft auch keinesfalls in fundamentalistischen Bahnen, denn die starke Betonung von Eigenverantwortlichkeit in Kombination mit einer partnerschaftlichen Beziehungsorientierung, lässt dafür keinen Raum mehr. Außerdem zeigte sich, dass die Mehrheit der Jugendlichen kaum noch ein Bedürfnis nach ideologischer Bindung zeigt.

  3. Die Erfahrung von Gemeinschaft, die nicht auf ökonomischen- oder Leistungsprinzipien beruht, scheint den jungen Erwachsenen dagegen sehr wichtig. Gemeinschaft als Ort der Erfahrung „akzeptierter Individualität“ ist jedoch etwas das entstehen muss und nicht organisiert werden kann. Diese Interpretation lässt herkömmliche Ideologisierungen des Gemeinschaftsbegriffs radikal hinter sich. Die Dualität zwischen dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und dem oben erwähnten Autonomiebestreben funktioniert scheinbar gut. Sie lässt sich jedoch institutionell kaum einfangen. In der christlichen Gemeinschaft, deren Dach die „unsichtbare Kirchengemeinschaft“ ist, lassen sich viele junge Menschen daher nicht auf verbindliche Dauer einbinden. Diese Erkenntnis erhöht den Druck, auch oder gerade im schulischen Kontext, die konventionellen Interpretationen religiöser Themen zu hinterfragen und neue Konzepte von Gemeinschaft, Glauben und Gemeinde zu finden.

  4. Der Gewissens- und auch der verwandte Schuldbegriff sind wie die Ergebnisse der Studie zeigen, eher an den Bereich des direkten Miteinanders gebunden: Gewissen ist dabei zuallererst eine Steuerungs- und Korrekturmöglichkeit für das „Ich im privaten Wir“. Der Begriff des Gewissens wird jedoch nie ganz seinem religiösen Potenzial entzogen. Der Begriff der Schuld hingegen wird allein auf der Ebene sozialer Beziehungen angesiedelt. Mit der schwindenden Relevanz des Schuldbegriffs verliert die christliche Religion als Erlösungsreligion dabei an Bedeutung. Interessanterweise bildet der moderne Islam hier viel deutlicher als das Christentum die psychischen Strukturen der jungen Erwachsenen ab, da er keinen Schuldbegriff hat, sondern vielmehr eine Heilsverheißung bietet, die auf einem System von Verhaltensregeln basiert und damit auf die Machbarkeit durch richtige Regeln des Zusammenlebens. Dies kommt wiederum dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit entgegen.

  5. Auch der Begriff der Sünde hat offenbar kaum noch Bedeutung für die Jugendlichen. Er wird vielmehr zu einem Begriff, der das zu verurteilende Verhalten des Anderen kennzeichnet, oder der das Böse in der Welt beschreibt. Der Begriff der Sünde könnte und müsste wieder um die tatsächlich existierenden Gefühlsdimensionen der Jugendlichen erweitert werden, da er diese scheinbar nicht mehr abdecken kann.

Die Studie belegt, dass die Gefühle der Jugendlichen sich im Blick auf Werteorientierung und Weltwahrnehmung durchaus als Bestandteil einer religiösen Dimension lesen lassen. Denn sich als „endliches Wesen“ dem „unendlichen Gegenüber“ in Relation zu sehen, geschieht natürlich vornehmlich auf der Wahrnehmungsebene des Gefühls. Durch Sprache kann dies festgehalten werden, doch nur für diejenigen denen eine Rückkoppelung vom Sprachlichen zur Gefühlserfahrung gelingt.

Die Aufgabe von Lehrern, Didaktikern und Wissenschaftlern, ist es also die Sprachkompetenz der jungen Erwachsenen in diesem Sinne zu erweitern. Die herkömmlichen Unterrichtskonzepte von Religion müssen diskursiver und werteorientierter werden, um das was den jungen Erwachsenen „Wichtig im Leben“ ist im unterrichtlichen Diskurs und reflexiv überhaupt ansprechen zu können.