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Nachhaltigkeit als Lebensmaxime!? Und keine Orientierung im sozial-ökologischen Schilderwald!?

Viele Menschen müssen nicht mehr von der Notwendigkeit einer nachhaltigen Lebensweiseüberzeugt werden. Sie richten ihr Handeln bereits immer mehr nach dieser Maxime aus: Sie leben in einer energetisch sanierten Wohnung, auf deren Dach Solarzellen montiert sind. In der Garage steht der Hybrid-Diesel mit minimalem Kraftstoffverbrauch und vor dem Urlaubsflug zahlen sie freiwillig einen CO2-Ablass. Doch der moderne Mensch ist kein Selbstversorger, sondern kauft die meisten Waren des täglichen Lebens im Handel ein. Das reicht von Lebensmitteln über Textilien bis hin zu Möbeln. Wer dann ethisch verantwortungsvoll konsumieren will, steht vor einem Problem: Ihm fehlt in der Regel jede Information über die ökologischen und sozialen Bedingungen der Herstellung. Ihm fehlt es also nicht am guten Willen, sondern am nötigen Wissen über die warenethische Qualität. Und so fördert er mit seiner Kaufkraft womöglich unbeabsichtigt nicht nachhaltige Wirtschaftsweisen.

In dieser Situation springen den aufmerksamen Kunden diverse Labels an den Waren im Regal an, wie z. B. das Fairtrade-Siegel, das FSC-Siegel, das MSC-Siegel, der Blaue Engel usw. usf. Diese produktbezogenen Umwelt- und Sozial-Siegel sollen dem Endverbraucher ein glaubwürdiges Signal für eine besondere ethische Qualität ausgewählter Waren senden, um sein Informationsproblem zu lösen. Doch die inzwischen über 1000 Siegel bescheren ihm auch ein neues Informationsproblem: Was bedeutet ein Siegel im Einzelnen konkret? Dies in jedem Fall zu recherchieren ist zeitaufwendig. Vielleicht hegt er sogar Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Siegels. Es stellen sich Fragen wie:

  • Kann man auf dieses Siegel vertrauen? Ist es das Papier wert, auf das es gedruckt ist?
  • Oder handelt es sich um eine Verbrauchertäuschung? Schöpft hier womöglich nur ein Blender meine höhere Zahlungsbereitschaft ab?
  • Ist die Aussagekraft eines einzelnen Siegels genau bestimmt?
  • Was bringt es, wenn eine Ware ökologisch vorteilhaft, aber in sozialer Hinsicht ungeprüft ist? Oder umgekehrt?
  • Rechtfertigt die bessere warenethische Qualität den höheren Preis? Und wer garantiert dafür, dass der Aufpreis bei denen ankommt, denen er helfen soll?
  • Sollte man zum Einkaufen einen Wegweiser durch den Label-Dschungel mitnehmen?

Lehrplan-Bezug: Dieser ethos-Baustein unterstützt die ökonomische und politische Verbraucherbildung. Die vorgeschlagene Verbraucherperspektive kann an die Lebensweltder Schülerinnen und Schüler anknüpfen. Alternativ könnte – wie in anderen ethos-Bausteinen – die Unternehmensperspektive eingenommen werden, um eine Horizonterweiterung über die eigene Lebenswelt hinaus zu bewirken. Dabei könnte es sich um die Hersteller der Waren handeln, die durch Sozial- und Umweltsiegel trotz Kostennachteil einen Wettbewerbsvorteil suchen, oder um den Einzelhandel, der sein Sortiment festlegen muss. Mögliche Fragen wären dann: Wie hoch ist der Anteil gelabelter Produkte am Gesamtsortiment, am Umsatz, am Gewinn? Sind die Verkäufer geschult, interessierten Kunden die Bedeutung der freiwilligen Warenkennzeichnungen zu erläutern? Oder sind sie selbst ohne hinreichende Orientierung im sozial-ökologischen Schilderwald?

Ausgezeichnet: Für den Verbraucherzentrale Bundesverband ist dieser ethos-Baustein das Material der Woche für die schulische und außerschulische Verbraucherbildung.


Baustein Produktsiegel

Titel:
Umwelt- und Sozialsiegel: Wie informativ und glaubwürdig sind sie? Zur Aufhebung von Informationsasymmetrien beim ethischen Konsum von Waren

Autor:
Tim Engartner

Herausgeber:
Thomas Retzmann / Tilman Grammes

Buchtitel:
Warenethik in der ökonomischen und politischen Bildung. 

Ausgewählte Unterrichtsbausteine aus dem ethos-Projekt. 
Sonderdruck für die DSW - Deutsche Stiftung für Warenlehre 
Schwalbach/Ts. 2014